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Schattengewächse, die nicht kontrolliert werden können


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    In seinem „Globalen Ausblick für 2023“ zeichnet BlackRock ein düsteres Bild. Der mächtigste Vermögensverwalter der Welt sagt für das neue Jahr eine schmerzhafte Rezession in einem instabilen Investitionsumfeld voraus. Anders als von Anlegerinnen und Anlegern erwartet, werde man im Notfall nicht auf die Unterstützung der Zentralbanken zählen können. Unerwähnt bleibt in dem Bericht, dass sogenannte „Schattenbanken“ wie BlackRock selbst ein erhebliches systemisches Risiko darstellen. Im Dezember zeigte sich der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) besorgt über die mangelnde Regulierung dieser „Nicht-Banken-Finanzintermediäre“. Die in Basel ansässige Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) warnte schon vor einem Jahr vor dem wachsenden Risiko durch die Finanzdienstleister.

    Aber was sind Schattenbanken und was macht sie so gefährlich? Als Schattenbanken werden Finanzmarktakteure wie Geldmarktfonds, Hedgefonds und andere Investmentfonds sowie Kreditversicherer bezeichnet, die die Aufgaben von Banken übernehmen, aber keine Banken sind. Wie Banken können sie Geld verleihen und das Vermögen ihrer Kundinnen gebündelt anlegen. Der Unterschied zu Banken besteht darin, dass sie formell nicht selbst Geld schöpfen können. Sie können also kein Buchgeld schaffen und damit die im Umlauf befindliche Geldmenge erhöhen. Anders als Banken können sie sich auch kein Geld bei Zentralbanken leihen. Und am wichtigsten: Anders als Banken unterliegen Schattenbanken nicht der Bankenregulierung.

    Grundsätzlich ist es sinnvoll, Vermögen einzelner Anleger zu bündeln, um damit größere Investitionen zu ermöglichen. Problematisch wird es bei intransparenten Fondsstrukturen, bei denen nicht mehr nachvollziehbar ist, zu welchen Zwecken das Geld verwendet wird. Die Niedrigzinspolitik der letzten Jahre hat Investorinnen und Investoren außerdem dazu verleitet, auf der Suche nach immer größeren Renditen risikoreichere Anlageformen zu wählen. Immer wieder wird deshalb davor gewarnt, dass Aufsichtsbehörden die „Nicht-Banken-Finanzintermediäre“ nicht ausreichend auf dem Schirm haben. Gleichzeit ist die Macht der Schattenbanken erheblich gewachsen. 2019 verwalteten sie knapp die Hälfte des globalen Finanzvermögens und damit deutlich mehr als normale Geschäfts- und Investitionsbanken.

    2019 verwalteten Schattenbanken knapp die Hälfte des globalen Finanzvermögens.

    Es ist noch gar nicht lange her, dass eine fatale Unterschätzung der systemischen Risiken im Finanzsektor die industrialisierten Volkswirtschaften der Welt in eine tiefe Rezession beförderte. 2023 jährt sich die internationale Finanzkrise zum 15. Mal. Auf ihrem Höhepunkt stand am 15. September 2008 mit der Pleite von Lehman Brothers das Aus für eine der ältesten und renommiertesten Investmentbanken der Wall Street. Die Folgen waren dramatisch und sind bis heute spürbar. Versuche der damaligen US-Regierung unter George W. Bush, mit einem beispiellosen Rettungspaket von 700 MilliardenUS-Dollar den Bankensektor zu stabilisieren, konnten eine Krise des globalen Finanzsystems nicht verhindern. Die Verquickung einer Staatsschulden-, einer Banken- und einer Wirtschaftskrise erschütterte ein gutes Jahr später den Euroraum. Die internationalen Handelsbeziehungen gerieten ins Stocken. Weltweit gingen Millionen von Arbeitsplätzen verloren.

    Allein in den USA lagen die gesamtwirtschaftlichen Verluste in den zehn Jahren nach der Krise schätzungsweise bei 70 000US-Dollar pro Kopf. Schwerer zu beziffern als der ökonomische Schaden ist der Vertrauensverlust in die politischen Akteure, die den entfesselten Kräften des Finanzsystems hilflos gegenüberstanden. Angesichts ihrer schieren Größe und systemischen Relevanz waren die betroffenen Finanzinstitute „too big to fail“. Sie durften nicht insolvent gehen, weil die Konsequenzen für das internationale Finanzsystem und die Realwirtschaft noch verheerender gewesen wären. Aus Unzufriedenheit über die Rettung von Banken auf Kosten der Steuerzahlenden und über die Konzentration des globalen Finanzvermögens in den Händen einer kleinen Gruppe von Superreichen mobilisierte die „Occupy Wallstreet“-Bewegung weltweiten Protest. Unter dem Motto „Wir sind die 99 Prozent“ gingen die Menschen für eine bessere Regulierung und gegen die realwirtschaftliche Entkoppelung des internationalen Finanzsystems auf die Straße.

    Die internationale Staatengemeinschaft schien ihre Lektion gelernt zu haben. Auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh von 2009 verurteilten die teilnehmenden Staatschefs die „Ära der Verantwortungslosigkeit“ und versprachen, Regulierungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen, um hochriskanten Bankengeschäften einen Riegel vorzuschieben. In den USA verabschiedete die Obama-Administration mit dem Dodd-Frank Act ein Gesetz zur Förderung der Stabilität des Finanzmarkts, das für mehr Transparenz und klare Verantwortung sorgen und der staatlichen Rettung von Finanzinstituten auf Kosten der Steuerzahlenden Grenzen setzten sollte. Auch in der Europäischen Union wurde die Bankenregulierung weitgehend einheitlich gestaltet. Eine wichtige Maßnahme bestand in der Eigenkapitalregulierung, die Banken dazu verpflichtet, entsprechende Mittel als Puffer vorzuhalten, um sich selbst vor Risiken zu schützen. Außerdem wurden Instrumente zur regelmäßigen Evaluierung der Wirksamkeit der Reformen etabliert. Große öffentliche Unterstützung fand auch die Idee der Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Sie sollte Finanztransaktionen entschleunigen, Spekulation unattraktiv machen und den Finanzsektor an den Kosten beteiligen. Als „Steuer gegen Armut“ sollte das generierte Aufkommen in den Dienst nachhaltiger Entwicklung gestellt werden. Bis heute scheitert ihre Einführung am Widerstand mächtiger Lobbyakteure.

    Mit über 8,5 BillionenUS-Dollar liegt die Summe des von BlackRock im Jahr 2022 verwalteten Vermögens etwa doppelt so hoch wie das deutsche Brutto-Inlandsprodukt von 2021.

    Auch wenn Teile der ergriffenen Maßnahmen schon unter der Regierung von Donald Trump wieder zurückgenommen wurden, unterliegen Banken heute im Vergleich zu 2008 einer deutlich strengeren Regulierung. Anders sieht es bei den Schattenbanken aus, und das obwohl sie bankenähnliche Dienstleistungen anbieten und weiterhin mit intransparenten Wertpapiertransaktionen operieren, die 2008 zur Krise geführt haben. Die systemische Relevanz von Nicht-Banken-Finanzintermediären ist heute kaum mehr zu leugnen. Dabei besteht eine extreme Machtkonzentration bei den drei größten Vermögensverwaltern, den sogenannten Big Three: BlackRock, Vanguard und State Street. 2022 kontrollierten sie zusammen 79 Prozent des US-amerikanischen Markts mit börsengehandelten Fonds (Exchange Traded Funds, ETFs). Mit über 8,5 BillionenUS-Dollar liegt die Summe des von BlackRock im Jahr 2022 verwalteten Vermögens etwa doppelt so hoch wie das deutsche Brutto-Inlandsprodukt von 2021. Im Falle von BlackRock kommt dazu, dass der Konzern mit unterschiedlichen Hüten agiert, die seine Macht weiter zementieren: BlackRock ist sowohl Vermögensverwalterin als auch Großaktionär bei allen deutschen Dax-Konzernen, berät gleichzeitig Zentralbanken und verfügt mit Aladdin über eine gigantische Plattform zur Analyse von Markt- und Unternehmensdaten.

    Ähnlich wie die Banken in der Finanzkrise sind die großen Vermögensverwalter längst „too big to fail“. Als in der Corona-Pandemie Investoren ihr Geld aus Geldmarktfonds abzogen und das Geschäftsmodell der Schattenbanken in die Krise zu geraten drohte, erhielten sie massive Unterstützung von Zentralbanken. Infolge von aggressiver Lobbyarbeit wurden Schattenbanken von der internationalen Finanzaufsicht, dem Financial Stability Board (FSB), trotzdem bisher nicht als systemrelevant eingestuft. Die Ökonomin Daniela Gabor vergleicht Schattenbanken mit Atomkraftwerken: „vielleicht nötig, aber auch anfällig für katastrophales Systemversagen“. Sie warnt vor der wachsenden Rolle von Schattenbanken in Niedriglohnländern und bei der Entwicklungsfinanzierung. Letzteres ist insbesondere vor dem Hintergrund der akuten Staatsschuldenkrise problematisch. Eineinhalb Jahrzehnte nach der internationalen Finanzkrise und eine globale Pandemie später sind mehr als zwei Drittel aller Länder weltweit kritisch verschuldet. Hier gilt es genau hinzusehen, denn 2009 zählte die Spekulation auf steigende Kurse bei Staatsanleihen angesichts der wachsenden Staatsverschuldung zu den Auslösern der Eurokrise. Infolge der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine ist es seit März 2022 zu einem kontinuierlichen Abzug privaten Kapitals aus Entwicklungsökonomien gekommen. Auch die globale Vermögenskonzentration ist trotz der Regulierungsmaßnahmen im Bankensektor weitergewachsen. Schätzungen von Oxfam zufolge entsprach 2009 das gemeinsame Vermögen der ärmeren 50 Prozent der Weltbevölkerung dem Vermögen der 380 reichsten Menschen auf der Welt. Zehn Jahre nach der Finanzkrise besaß eine kleine Gruppe von 26 Personen so viel wie die ärmere Hälfte.

    15 Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers ist es höchste Zeit, die Hausaufgaben von damals fertig zu machen.

    Die Bürgerbewegung Finanzwende warnt davor, dass der Finanzmarkt immer noch zu groß ist. Zur Regulierung und Entflechtung von Schattenbanken hat sie einen umfassenden Maßnahmenkatalog vorgelegt. Sie schlägt unter anderem eine Begrenzung der Marktmacht von Vermögensverwaltern durch das Kartellamt vor, um das Oligopol der Big Three zu brechen. Weiterhin fordert sie, Schattenbanken in Europa unter die Direktaufsicht der Europäischen Zentralbank zu stellen, intransparente Fonds vor ihrer Zulassung streng zu prüfen und Geldmarktfonds und Kreditfonds, die nicht der Grundidee eines Investmentfonds entsprechen, gänzlich zu verbieten. Ein gebührenfinanziertes Sicherheitsnetz bei den Zentralbanken soll dafür sorgen, dass offene Fonds Liquiditätshilfen selbst tragen. Darüber hinaus schlägt die Bürgerbewegung Entflechtungsmaßnahmen vor, die Interessenskonflikten und Wettbewerbsverzerrung entgegenwirken sollen. Um konkrete alternative Anlagemöglichkeiten zu schaffen, fordert sie die Schaffung eines Bürgerfonds nach schwedischem Vorbild. Das niederländische Zentrum für die Erforschung Multinationaler Konzerne (SOMO) hat einen Empfehlungskatalog mit Maßnahmen zur Reduzierung der Risiken aus dem Schattenbanksektor für hochverschuldete Länder und Entwicklungsökonomien vorgelegt.

    Die nächste Krise bahnt sich längst an. Nouriel Roubini, der sich mit seiner frühzeitigen Voraussage des Crashs von 2007/2008 den Spitznamen „Dr. Doom“ einhandelte, warnte Ende 2022 davor, dass uns mit einem explosiven Cocktail aus einer Wirtschafts-, einer Finanz- und einer Schuldenkrise die „Mutter aller Krisen“ bevorstehe. 15 Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers ist es höchste Zeit, die Hausaufgaben von damals fertig zu machen und blinde Flecken der Regulierung in den Blick zu nehmen. Gute Vorschläge zur Einhegung systemischer Risiken des Schattenbankensektors liegen seit Langem auf dem Tisch. Das vor Jahren ausgearbeitete Konzept einer Finanztransaktionssteuer müsste nur aus der Schublade geholt werden. Die Bankenregulierung nach 2008 hat gezeigt, dass politische Gestaltung möglich ist. Der Finanzmarkt ist keine Naturgewalt, dessen Launen die Menschheit hilflos ausgeliefert sein muss.  

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    Author: Joseph Horton

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